Wann dürfen Ärzte ohne Einwilligung Daten weitergeben?
Rechtliche Analyse zur Weitergabe von Patientendaten ohne Einwilligung des Patienten
Einleitung und Problemaufriss:
Die Weitergabe von Patientendaten ohne ausdrückliche Einwilligung des Patienten ist rechtlich nur in eng umrissenen Ausnahmefällen zulässig. Ärzte unterliegen grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht, die durch berufsrechtliche, strafrechtliche und datenschutzrechtliche Normen geschützt wird. Zugleich können in medizinischen Notfällen oder bei bewusstlosen Patienten Situationen auftreten, in denen ein Informationsaustausch zwischen Ärzten dringend erforderlich ist – etwa um Leben oder Gesundheit des Patienten zu schützen. Im Folgenden werden die maßgeblichen Rechtsgrundlagen und Ausnahmevoraussetzungen hierfür ausführlich erläutert, unter besonderer Berücksichtigung der DSGVO (Art. 6 und 9) und des BDSG, der Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (insb. SGB V und SGB X), § 9 der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte (MBO‑Ä), § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen), des Strahlenschutzgesetzes und der Strahlenschutzverordnung sowie relevanter Gerichtsentscheidungen zur Schweigepflicht und Datenweitergabe in Notfällen.
Allgemeiner Grundsatz: Schweigepflicht und Datenschutz
Ärztliche Schweigepflicht (Berufsrecht und Strafrecht):
Ärzte sind berufsrechtlich verpflichtet, über alle ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertrauten oder bekannt gewordenen Informationen zu schweigen (§ 9 Abs. 1 MBO‑Ä). Dieser Schutz umfasst sämtliche Patienteninformationen – von Diagnosen über Befunde (z.B. MRT-Bilder) bis hin zum Umstand der Behandlung selbst. Die Schweigepflicht gilt zeitlich unbegrenzt, auch über den Tod des Patienten hinaus. Verstöße dagegen können berufsrechtliche Sanktionen (durch die Ärztekammer) und zivilrechtliche Ansprüche (Schadensersatz) nach sich ziehen. Zudem ist die Schweigepflicht strafrechtlich durch § 203 StGB abgesichert: Ärzte machen sich strafbar, wenn sie „unbefugt“ ein fremdes Geheimnis (wie Patientendaten) offenbaren. Das umfasst alle Informationen, an denen der Patient ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse hat.
Datenschutzrecht (DSGVO und BDSG):
Patientendaten sind personenbezogene Daten, die besonderen Schutz genießen. Gesundheitsdaten gehören nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu den „besonderen Kategorien personenbezogener Daten“, deren Verarbeitung grundsätzlich untersagt ist. Eine Verarbeitung – wozu auch die Weitergabe an Dritte zählt – ist nur erlaubt, wenn ein Erlaubnistatbestand greift (Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt). Art. 6 DSGVO regelt die allgemeinen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit. Im medizinischen Kontext ist regelmäßig entweder eine Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO) erforderlich oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand (z.B. zur Vertragserfüllung oder zum Schutz lebenswichtiger Interessen) einschlägig. Zusätzlich müssen bei Gesundheitsdaten die speziellen Bedingungen des Art. 9 DSGVO erfüllt sein. Der nationale Gesetzgeber hat flankierend in § 22 Abs. 1 BDSG entsprechende Erlaubnisse für besondere Datenkategorien normiert und konkretisiert.
Sozialrechtlicher Datenschutz:
Werden Patientendaten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung oder anderer Sozialleistungen verarbeitet, spricht man von Sozialdaten, die den Vorschriften des SGB X unterliegen. Auch hier gilt grundsätzlich Vertraulichkeit: Sozialdaten dürfen von Sozialleistungsträgern nur übermittelt werden, wenn gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind oder die betroffene Person eingewilligt hat. Das SGB X betont dabei, dass eine Übermittlung ohne Einwilligung unzulässig ist, soweit es zumutbar ist, die Einwilligung einzuholen. Mit anderen Worten: Ist der Patient ansprechbar und eine Einwilligung kann eingeholt werden, muss dies grundsätzlich geschehen. Diese sozialdatenschutzrechtliche Regelung spiegelt das allgemeine Prinzip wider, dass ohne (zumindest mutmaßliche) Einwilligung oder gesetzliche Erlaubnis keine Weitergabe stattfinden darf.
Ausnahmen: Erlaubnis zur Datenweitergabe ohne Einwilligung
Trotz des strikten Grundsatzes der Vertraulichkeit kennen Recht und Ethik bestimmte Ausnahmefälle, in denen eine Weitergabe von Patientendaten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung zulässig oder sogar geboten ist. Solche Ausnahmen beruhen im Wesentlichen auf folgenden Rechtfertigungsgründen:
1. Mutmaßliche Einwilligung des Patienten:
Kann ein Patient seinen Willen in einer dringlichen Behandlungssituation nicht äußern (z.B. wegen Bewusstlosigkeit), dürfen Ärzte unter Umständen eine mutmaßliche Einwilligung annehmen. Dies ist der Fall, wenn davon auszugehen ist, dass der Patient bei Befragung mit der Offenbarung einverstanden wäre. Die mutmaßliche Einwilligung ist ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz im Medizinrecht: In Notfällen geht das Gesetz davon aus, dass ein verständiger Patient einer erforderlichen Maßnahme zum Schutz seiner lebenswichtigen Interessen zustimmen würde, sofern er zustimmungsfähig wäre. So kann etwa die Weitergabe wichtiger Befunde an einen weiterbehandelnden Arzt auf mutmaßlicher Einwilligung basieren, wenn dies im Interesse des Patienten liegt. Die (Muster-)Berufsordnung trägt dem in § 9 Abs. 5 MBO‑Ä Rechnung: „Weiterbehandelnde Ärztinnen und Ärzte dürfen untereinander Patientendaten auch ohne ausdrückliches Einverständnis austauschen, soweit das Einverständnis der Patientin oder des Patienten anzunehmen ist.“. Im Kontext eines bewusstlosen Patienten ist die Annahme eines Einverständnisses regelmäßig gerechtfertigt, da die Weitergabe der Daten seiner Gesundheit dient.
2. Höherwertige Rechtsgüter und rechtfertigender Notstand:
Unabhängig von einer (mutmaßlichen) Einwilligung kann die Offenbarung von Patientengeheimnissen zulässig sein, wenn sie zum Schutz eines höherwertigen Rechtsguts erforderlich ist. Dieser Grundsatz findet sich in § 9 Abs. 2 MBO‑Ä und besagt, dass die Schweigepflicht nicht absolut gilt, sondern bspw. zur Abwendung von Gefahren für Leben oder Gesundheit durchbrochen werden darf. Strafrechtlich würde man hier von einem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) sprechen. § 34 StGB erlaubt eine Rechtsgutsverletzung (hier: Eingriff in das Persönlichkeitsrecht/Geheimnis) wenn dies nötig ist, um drohende erhebliche Gefahren von einem höherwertigen Rechtsgut (z.B. Leben, Leib) abzuwenden, und das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Eine lebensrettende Informationsweitergabe kann daher durch Notstandsrecht gedeckt sein. In solchen Fällen handelt der Arzt „befugt“, sodass keine Strafbarkeit nach § 203 StGB eintritt. Die Rechtsprechung hat dies bestätigt: Gerichte erkennen an, dass in akuten medizinischen Notlagen eine Durchbrechung der Schweigepflicht gerechtfertigt sein kann. So wurde etwa entschieden, dass ein Arzt im Notfall Patientendaten weitergeben durfte, um das Leben des Patienten zu retten – die Schweigepflicht tritt in solchen Fällen hinter den Notstand zurück (vgl. OLG Köln, Beschl. vom 04.07.2000 – NJW 2000, 3656 f.; OLG Karlsruhe, Beschl. vom 25.11.1983 – NJW 1984, 676). Die Offenbarung ist dann nicht unbefugt und folglich straflos.
3. Gesetzliche Offenbarungstatbestände:
Verschiedene Gesetze enthalten ausdrückliche Befugnisse oder Pflichten zur Datenweitergabe, die den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Einige Beispiele:
- Datenschutzrechtliche Erlaubnistatbestände (DSGVO/BDSG): Die DSGVO selbst nennt Ausnahmen, die einschlägig sein können. Art. 6 Abs. 1 lit. d DSGVO erlaubt die Verarbeitung (hier: Weitergabe) personenbezogener Daten, wenn dies „erforderlich ist, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen“. Bei einem bewusstlosen Patienten, dessen Gesundheitsdaten an einen anderen Arzt übermittelt werden müssen, um seine Gesundheit oder gar sein Leben zu schützen, ist dieser Tatbestand erfüllt. Zusätzlich muss für Gesundheitsdaten Art. 9 DSGVO berücksichtigt werden. Hier kommen insbesondere Art. 9 Abs. 2 lit. c DSGVO (Schutz lebenswichtiger Interessen, wenn der Betroffene außerstande ist einzuwilligen) und Art. 9 Abs. 2 lit. h DSGVO in Betracht. Letzterer erlaubt die Verarbeitung von Gesundheitsdaten „für Zwecke der Gesundheitsvorsorge, medizinischen Diagnostik, der Versorgung oder Behandlung im Gesundheitsbereich“, sofern sie durch Fachpersonal erfolgt, das der Geheimhaltung unterliegt. Die Übermittlung von Patientendaten von einem behandelnden Arzt an einen anderen fällt genau hierunter. Diese DSGVO-Ausnahmen sind im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gespiegelt: § 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BDSG erlaubt die Verarbeitung sensibler Daten „zum Zweck der Gesundheitsvorsorge, medizinischen Diagnostik, Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich“ durch Geheimnisträger. Somit besteht datenschutzrechtlich eine klare Erlaubnisnorm für die Weitergabe von Gesundheitsdaten zwischen Ärzten zur Behandlung, auch ohne ausdrückliche Einwilligung, sofern die Behandlung es erfordert.
- Sozialrechtliche Normen (SGB V/X): Im Sozialrecht gibt es Spezialvorschriften, die Datenübermittlungen regeln. Beispielsweise sind im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gewisse Meldepflichten oder Informationsflüsse vorgesehen (etwa Qualitätssicherung, Abrechnungsdaten etc.), die jedoch meist der Pseudonymisierung/Anonymisierung oder Einwilligung bedürfen, sofern nicht gesetzlich verpflichtend. SGB V betont generell Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit von Leistungen (§ 12 SGB V) – dies impliziert, dass unnötige Doppeluntersuchungen (z.B. wiederholte MRT) vermieden werden sollen. Eine Weitergabe bereits vorliegender Untersuchungsbefunde (etwa MRT-Bilder) an einen weiterbehandelnden Arzt kann daher sogar im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung liegen, um Ressourcen zu schonen und den Patienten nicht unnötigen Belastungen auszusetzen. SGB X als allgemeines Sozialdatenschutzgesetz schreibt, wie oben erwähnt, vor, dass ohne Einwilligung übermittelte Sozialdaten nur zulässig sind, wenn eine Einwilligung nicht zumutbar einholbar ist. Bei einem bewusstlosen Patienten ist es offensichtlich unzumutbar, seine Einwilligung einzuholen. Hinzu kommt: § 76 SGB X („Einschränkung der Übermittlungsbefugnis“) enthält ebenfalls die Klausel, dass ohne Einwilligung nicht übermittelt werden darf, “soweit es zumutbar ist“, die Einwilligung zu erlangen (§ § 75 SGB X — Übermittlung von Sozialdaten für die Forschung und Planung). Im Umkehrschluss ist in einem echten Notfall die Datenweitergabe zulässig, sofern sie zur Aufgabenerfüllung (hier der Gesundheitsversorgung des Patienten) erforderlich ist. Zu beachten ist allerdings, dass SGB X primär für Sozialleistungsträger gilt – im Verhältnis Arzt zu Arzt greift eher direkt die DSGVO/BDSG und das Berufsrecht, doch die Wertungen des SGB X unterstreichen den allgemeinen Rechtsgedanken.
- Strahlenschutzrecht: Obwohl z. B. MRT-Untersuchungen keine ionisierende Strahlung verursachen, lohnt ein Blick ins Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) und die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV), weil dort ein Paradigma festgeschrieben ist, das für medizinische Bildgebung allgemein interessant ist: Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen zum Schutz des Patienten. So bestimmt § 85 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StrlSchG, dass Ärztinnen und Ärzte Röntgenaufnahmen einem nachbehandelnden Arzt auf dessen Verlangen vorübergehend überlassen müssen, um unnötige Strahlenbelastung zu vermeiden. Bei solcher Weitergabe sind Maßnahmen zur Wahrung der Schweigepflicht zu treffen (§ 85 Abs. 3 S. 2 StrlSchG). Diese Regelung zeigt deutlich: Das Gesetz selbst verlangt in bestimmten Fällen die Weitergabe medizinischer Bilddaten (hier: Röntgenbilder) ohne vorherige Einwilligung, nämlich immer dann, wenn es der Behandlungskontinuität und der Gesundheit des Patienten dient (Vermeidung weiterer Strahlung). Für MRT-Bilder gilt das Strahlenschutzrecht zwar nicht direkt, doch die Analogie ist zulässig: Auch hier wäre es im Sinne des Patienten, bereits vorhandene Befunde weiterzugeben, um zeitliche Verzögerung oder Risiken (Kontrastmittel, unnötige Sedierung etc.) zu vermeiden. Ärzte dürfen und sollen also bestehende Aufnahmen austauschen, solange die Schweigepflicht gewahrt bleibt (d.h. nur an befugte KollegInnen und unter sicheren Übermittlungswegen).
4. Weitere gesetzliche Offenbarungspflichten:
Außer den genannten gibt es eine Reihe weiterer Spezialvorschriften, die jedoch für das Thema der Anfrage nur am Rande relevant sind. Zu nennen sind z.B. Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), Mitteilungsrechte im Kinderschutz (Kinderschutzgesetz), Pflichten zur Auskunft an gesetzliche Vertreter oder Betreuer in bestimmten Situationen, oder Auskunftspflichten gegenüber Gerichten/Behörden (mit richterlicher Anordnung). In medizinischen Notfällen kann insbesondere § 34 StGB (allgemeiner Notstand) wie oben ausgeführt bedeutsam sein, außerdem ggf. § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung) in Verbindung mit Garantenpflichten des Arztes – ein Arzt darf keine Hilfe unterlassen, wozu im weitesten Sinne auch gehören kann, notwendige Informationen weiterzugeben, um einem anderen Arzt die Behandlung zu ermöglichen. Diese Normen verdeutlichen, dass der Gesetzgeber in bestimmten Gefahrenlagen die Vertraulichkeit hinter den Schutz überragender Gemeinschafts- oder Individualgüter zurücktreten lässt.
Anwendung auf einen konkreten Fall (bewusstloser Patient, MRT-Bilder benötigt)
Angenommen, ein Patient ist bewusstlos (nicht ansprechbar) und wird medizinisch versorgt. Es liegen bereits MRT-Bilder (etwa von einem früheren Krankenhaus oder einer radiologischen Praxis) vor, die für die aktuelle Behandlung entscheidungsrelevant sind. Der behandelnde Arzt steht nun vor der Frage, ob er diese vorhandenen Bilder und Befunde ohne ausdrückliche Einwilligung des Patienten bei der vorherigen Stelle anfordern bzw. von dort entgegennehmen darf, um z.B. eine erneute (ggf. riskante oder zeitraubende) Untersuchung zu vermeiden.
Auf Basis der oben dargestellten Rechtslage lässt sich dies eindeutig bejahen, sofern die Weitergabe im wohlverstandenen Interesse des Patienten liegt:
- Mutmaßliche Einwilligung: Da der Patient nicht einwilligungsfähig ist, darf der Arzt annehmen, dass der Patient einer für die Behandlung sinnvollen Datenweitergabe zustimmen würde. Es ist objektiv vernünftig und im Gesundheitsinteresse des Patienten, dass vorhandene MRT-Bilder genutzt werden, um schneller und besser behandeln zu können. Nichts deutet in der Regel darauf hin, dass ein Patient dies ablehnen würde – im Gegenteil wäre es lebensfremd anzunehmen, ein Patient wolle lieber eine riskante Verzögerung oder Doppeluntersuchung in Kauf nehmen, statt vorhandene Befunde heranzuziehen. Somit liegt eine mutmaßliche Einwilligung vor, welche berufsrechtlich anerkannt ist. § 9 Abs. 5 MBO‑Ä erlaubt genau in diesem Fall die Weitergabe an mit- oder weiterbehandelnde Ärzte ohne ausdrückliches Einverständnis, wenn das Einverständnis anzunehmen ist. Hier wird es eindeutig anzunehmen sein.
- Datenschutzrechtliche Zulässigkeit: Die DSGVO/BDSG-Kombination erlaubt die Verarbeitung der Gesundheitsdaten. Insbesondere greift Art. 9 Abs. 2 lit. h DSGVO in Verbindung mit § 22 Abs. 1 Nr. 1 b BDSG: Die Übermittlung erfolgt „für die medizinische Diagnostik bzw. Behandlung im Gesundheitsbereich“ durch Berufsgeheimnisträger. Damit ist die Weitergabe rechtmäßig im Sinne des Datenschutzes. Zusätzlich oder hilfsweise greift auch Art. 6 Abs. 1 lit. d DSGVO i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. c DSGVO (Schutz lebenswichtiger Interessen, da Bewusstlosigkeit = keine Einwilligung möglich). Der verantwortliche Arzt muss die Weitergabe natürlich auf das erforderliche Maß beschränken (Datensparsamkeit) und für eine sichere Übermittlung sorgen – z.B. direkte Arzt-zu-Arzt-Kommunikation, verschlüsselte elektronische Übertragung oder persönliches Aushändigen der Bilddatenträger. Unbefugte Dritte dürfen keinen Zugriff erhalten.
- Strafrechtliche/berufsrechtliche Absicherung: Durch die mutmaßliche Einwilligung bzw. die Erforderlichkeit zur Gefahrenabwehr (schwere Gesundheitsschädigung abwenden) handelt der Arzt befugt. Er bewegt sich im Rahmen der ihn treffenden Sorgfaltspflichten dem Patienten gegenüber. Eine Strafbarkeit nach § 203 StGB ist ausgeschlossen, da keine unbefugte Offenbarung vorliegt – sie ist ja durch rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) und die Annahme eines Patienteneinverständnisses gerechtfertigt. Die Rechtsprechung würde eine solche Maßnahme höchstwahrscheinlich billigen: Wie erwähnt, haben Oberlandesgerichte betont, dass in Notfallsituationen das Übermittlungsinteresse überwiegen kann. Wichtig ist allerdings, die Weitergabe nur an Personen zu tätigen, die sie für die Behandlung benötigen und ebenfalls der Schweigepflicht unterliegen (also z.B. direkt an den zuständigen weiterbehandelnden Arzt, nicht an irgendeinen Angehörigen ohne Schweigepflicht, es sei denn, es handelt sich um den gesetzlichen Vertreter in einer entscheidungsbedürftigen Situation).
- Sozialrechtliche Komponente: Sollte es sich um Befunde aus der gesetzlichen Krankenversorgung handeln, wären diese zwar Sozialdaten, doch wie dargelegt, verbietet SGB X eine Übermittlung ohne Einwilligung nur, solange die Einwilligung einholbar und zumutbar ist. Im Notfall ist sie es nicht. Zudem ließe sich argumentieren, dass hier die Weitergabe Teil der ordnungsgemäßen Erbringung der Krankenversicherungsleistung ist – schließlich soll der Patient die nötige Behandlung erhalten, und die Kasse hat ebenfalls ein Interesse, dass keine unnötigen Doppelkosten entstehen. Insoweit bestehen sozialrechtlich keine Bedenken gegen den Datenaustausch zwischen behandelnden Ärzten im Notfall, zumal dieser Austausch typischer Bestandteil der Versorgungskette (z.B. Verlegung von Intensivpatienten mit Übermittlung des Arztbriefs und relevanter Befunde) ist.
Praxisnahe Erläuterung: In der Praxis werden solche Fälle meist über das Instrument der ärztlichen Konsile oder Verlegungen abgewickelt. Beispiel: Ein bewusstloser Unfallpatient wird vom Krankenhaus A ins spezialisierte Krankenhaus B verlegt. Krankenhaus A hat bereits bildgebende Diagnostik (CT, MRT) durchgeführt. Es gehört zum medizinischen Standard, dass zusammen mit dem Patienten ein Verlegungsbericht und alle relevanten Befunde/Bilddaten an Krankenhaus B übergeben werden – oft elektronisch oder auf Datenträgern. Eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten kann hier nicht eingeholt werden. Dennoch ist dieser Datentransfer rechtmäßig, da er der lückenlosen Weiterbehandlung dient und im mutmaßlichen Willen des Patienten erfolgt. Ähnlich verhält es sich, wenn ein niedergelassener Radiologe einem klinischen Kollegen auf Anfrage die MRT-Bilder eines nun bewusstlosen Patienten zusendet, um diesem eine erneute Untersuchung zu ersparen. All dies ist durch die genannten Ausnahmevorschriften gedeckt.
Zusammenfassung
Ärzte dürfen Patientendaten ohne Einwilligung des Patienten nur unter bestimmten Voraussetzungen an andere Ärzte weitergeben. Solche Ausnahmen vom Grundsatz der Schweigepflicht greifen insbesondere in medizinischen Notfällen oder vergleichbaren Situationen, in denen der Patient nicht einwilligungsfähig ist und die Datenweitergabe zur Abwendung erheblicher Gesundheitsgefahren erforderlich ist. Rechtsgrundlagen hierfür finden sich in der DSGVO (Art. 6 Abs. 1 lit. d; Art. 9 Abs. 2 lit. c und h) sowie im BDSG (§ 22 Abs. 1), im Berufsrecht (§ 9 MBO‑Ä) und im Strafrecht (§ 203 StGB i.V.m. Rechtsfertigungsgründen). Ergänzend bestätigen SGB V und SGB X den Grundsatz, dass ohne Einwilligung nur dann übermittelt werden darf, wenn eine Einwilligung nicht zumutbar erlangt werden kann – was bei Bewusstlosigkeit gegeben ist. Das Strahlenschutzrecht liefert ein Beispiel für eine gesetzlich angeordnete Datenweitergabe zum Wohle des Patienten (Vermeidung unnötiger Strahlenbelastung durch Weitergabe von Röntgenbildern), was den Stellenwert der Behandlungskontinuität betont.
Im speziellen Kontext eines bewusstlosen Patienten, der zur optimalen Behandlung einen Bilddatensatz (z.B. MRT) benötigt, bedeutet dies: Der behandelnde Arzt darf (und sollte) die bereits vorhandenen MRT-Bilder von einem vorbehandelnden Kollegen anfordern bzw. übernehmen, auch ohne ausdrückliches Einverständnis des Patienten. Dies beruht auf der mutmaßlichen Einwilligung und dem überwiegenden Patienteninteresse an sachgerechter, zügiger Behandlung. Voraussetzung ist stets, dass die Datenweitergabe ausschließlich an befugte Empfänger erfolgt (andere in die Behandlung eingebundene Ärzte oder Hilfspersonen unter Schweigepflicht) und die Offenbarung maßvoll bleibt (nur die notwendigen Informationen). Unter diesen Umständen ist die Weitergabe rechtlich zulässig und verstößt weder gegen die DSGVO/BDSG noch gegen die ärztliche Schweigepflicht; vielmehr wäre es im Gegenteil ein Verstoß gegen das Gebot der Hilfeleistung, wichtige Informationen nicht weiterzugeben, die für die Gesundheit oder das Leben des Patienten entscheidend sind.
Hinweis: Die vorstehenden Ausführungen stützen sich auf die einschlägigen Gesetzestexte und Kommentierungen, etwa Art. 6, 9 DSGVO; § 22 BDSG; § 203 StGB; § 9 MBO‑Ä; § 85 StrlSchG; sowie auf veröffentlichte Empfehlungen und Urteile zur Schweigepflicht (u.a. Hinweise der Bundesärztekammer und Rechtsprechung wie OLG Köln NJW 2000, 3656 f. und OLG Karlsruhe NJW 1984, 676). Diese belegen übereinstimmend, dass in medizinischen Notfällen das Patientenwohl Vorrang hat und datenschutzrechtliche wie berufsrechtliche Regelungen ausreichend Ausnahmebewilligungen für eine Weitergabe von Patientendaten ohne vorherige Einwilligung vorsehen, sofern dies zur Sicherung höherwertiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit) erforderlich ist.
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